Reiki und die Chakren

Wenn von Reiki die Rede ist, dann ist der Begriff “Chakra” meist nicht recht weit – schon in den ersten Versuchen der Erklärung. Wieso funktioniert Reiki überhaupt? Weil bei der “Einweihung” diverse Chakren “geöffnet” werden, hört man sehr oft. Wie wirkt Reiki? Indem es die Chakren ausgleicht und so Harmonie herstelltmindestens ebenso oft. Nun ja, nicht alles, was man so landläufig hört, muss auch tatsächlich wahr sein…

Was hat indisches Curry…

Tatsächlich hat diese Energie, die wir Reiki nennen, einen positiven Effekt auf die “Chakren”. Falls du diesen Begriff noch nie gehört hast: Er stammt aus Indien und bezeichnet die gedachten, unsichtbaren “Energieräder” im und außerhalb des menschlichen Körpers, die unsere Aura erzeugen. Soweit, so gut…

Ja, Reiki hat einen positiven Effekt auf die Chakren. Ohne Zweifel. Genauso, wie Reiki einen positiven Effekt auf die Meridiane, die Nadis und sonstige Energieleitbahnen im Körper, ja überhaupt auf das gesamte “System” Mensch mit Körper, Geist und Seele hat. Unbestritten. Nur – dass das Konzept der Chakren eben aus Indien stammt und mit dem japanischen Reiki so viel zu tun hat wie ein Sack Reis mit einer Flasche Wein – nämlich absolut gar nichts…

…auf japanischem Sushi zu suchen?

Reiki und seine Wirkung anhand der Chakren zu erklären, ist wie ein gutes Essen allein aufgrund seines Geschmacks zu beurteilen, ohne seinen tatsächlichen Nährwert zu kennen. Zugegeben – der Geschmack ist eine wichtige Komponente und erfreut Körper, Geist und Seele. Doch was uns eigentlich nährt, sind seine Zutaten und Inhaltsstoffe. Und davon scheinen die meisten Hobby-Köche der Reiki-Szene leider nur sehr wenig Ahnung zu haben…

Das wiederum schlägt sich auch auf den Geschmack des Essens nieder. Ein gutes indisches Curry ist schon was Leckeres – aber hast du es schon mal auf japanischem Sushi probiert?

Resteverwertung nach eigenem Rezept

Viele Köche verderben den Brei, lautet ein altes Sprichwort. Und genau das ist in den letzten Jahrzehnten mit Reiki im Westen passiert.  Nach dem Tod von Hawayo Takata, der einzigen von Dr. Hayashi ausgebildeten Reiki-Lehrerin außerhalb Japans, ist Stück für Stück mehr und mehr des ursprünglichen Reiki-Wissens verloren gegangen. Umso größer war der Bedarf, diese Lücke irgendwie, und sei es mit einem Konzept aus völlig anderem kulturellen Zusammenhang zu füllen.

Was macht der hungrige Hobby-Koch, wenn ihm die passenden Zutaten im Kühlschrank fehlen? Er schaut, was noch übrig ist, und schreitet zur Resteverwertung – nach eigenem Rezept, versteht sich. Hängt ja ganz davon ab, was er so findet. Was dabei herauskommt, mag durchaus gut schmecken und auch seinen Nährwert haben.  Doch es den Gästen als japanisches Sushi zu verkaufen, ist wie einem Kind zu erklären, dass ein Schaf eine Kuh ist…

Acht Schätze mit vier Sorten Fleisch

Nur, damit keine Missverständnisse entstehen: Auch die Japaner kennen verschiedene Energiezentren im menschlichen Körper. Sie liegen allerdings dem chinesischen Konzept der Dantien sehr viel näher als dem der indischen Chakren. Und vor allem: Sie spielen im Reiki von Mikao Usui genausowenig Rolle. Seis drum, hört man dann immer wieder, Energie ist doch Energie. Stimmt, ein Schaf ist auch ein Tier, aber trotzdem noch lang keine Kuh…

Und, damit nicht noch mehr Missverständnisse entstehen: Bei einer Reiki-“Einweihung”, die eigentlich gar keine “Einweihung”, sondern lediglich ein energetisches Schornsteinfegen ist, werden auch keine Chakren “geöffnet”. Im Optimalfall, wenn der Mensch einigermaßen gesund und am Leben ist, sind die Chakren ohnehin bis zu einem gewissen, jeweils zuträglichen Grad geöffnet. Sie mit der Brechstange noch weiter aufstemmen zu wollen, widerspricht in jeder nur erdenklichen Hinsicht dem Konzept von Reiki, das in seiner Essenz ein absichtsloses Geschehen-Lassen ist.

Gruß aus der Küche

Zugegeben, es kann schon sein, dass sich auch die Chakren unter dem Einfluss von Reiki ganz sanft und wie von selbst noch weiter öffnen, so wie sich das gesamte menschliche Bewusstsein Schritt für Schritt, im jeweils zuträglichen Tempo, unter dem Einfluss von Reiki immer weiter öffnet. Das kann passieren und ist ein durchaus erwünschter Nebeneffekt. Aber darum geht es nicht beim Reiki. Kein Fokus, keine Absicht, sondern beobachten, annehmen und zulassen, was ist…

Wie der berühmte Gruß aus der Küche, der in gehobenen Restaurants vor Beginn des bestellten Menüs oft noch zum guten Ton gehört. Eine kleine Aufmerksamkeit, überraschend und inspirierend, wenn man sich darauf einlassen möchte. Klar, das hat man nicht bestellt – und doch könnte es vielleicht sein, dass sich gerade diese unerwartete, gar nicht bestellte Aufmerksamkeit im Nachhinein als Highlight des ganzen Menüs herausstellt.

Lebensmittel-Kennzeichnung

Auf die Transparenz kommt es an: Wenn ich in ein Restaurant gehe und indisches Curry bestelle, dann möchte ich auch indisches Curry bekommen. Wenn ich in ein Restaurant gehe und japanisches Sushi bestelle, dann möchte ich auch japanisches Sushi bekommen. Von einem indisch-japanischen Curry-Fisch-Reis-Eintopf wäre ich in beiden Fällen alles andere als begeistert.

Wenn ich allerdings noch nie indisches Curry oder japanisches Sushi gegessen hätte, dann könnte mich so ein indisch-japanischer Curry-Fisch-Reis-Eintopf vielleicht sogar wirklich begeistern. Wie das Kind, das denkt, das Schaf ist eine Kuh. Aber macht ja nichts, Hauptsache, es schmeckt gut…

Reinheitsgebot

In der Tat ist es wohl eine Geschmacksfrage, ob man indisches Curry oder japanisches Sushi mag – oder doch einen ordentlichen Schweinsbraten vorzieht. Oder mal Lust auf das eine, und dann auf das andere hat? Das geht allerdings nur dann, wenn man weiß, wie indisches Curry, japanisches Sushi und ein ordentlicher Schweinsbraten schmecken…

Biertrinker haben es vergleichsweise einfach. Für ihr Lieblingsgetränk gilt ein klar definiertes Reinheitsgebot. Was nicht darunter fällt, lässt sich als manchmal gelungenes, manchmal in seiner Mischung recht eigenwilliges, aber zumindest interessantes Spezialbier genießen. Das kann man mögen oder auch nicht, aber Tatsache ist: man weiß, dass es sich nicht um Bier im klassischen Sinn, sondern um ein gepflegtes Indian Pale Ale handelt…

Spezial-Cocktails

Diese Kennzeichnung wäre auch für Reiki und die später daraus kreierten Spezial-Rezepte wünschenswert. Beim Essen und Trinken möchten wir doch auch wissen, was wir bekommen, wenn wir das Eine oder das Andere bestellen. Wieso legen wir dann auf die Zutaten und Inhaltsstoffe unserer spirituellen Nahrung so wenig Wert?

Spezial-Cocktails wie Reiki und Chakren, Reiki und Engel, Reiki und Edelsteine, Reiki und Aufgestiegene Meister, Reiki und Einhörner, um nur einige wenige der mittlerweile mehreren hundert verschiedenen Spezial-Rezepte zu nennen, lassen die Getränkekarte zwar auf den ersten Blick bunter und abwechslungsreicher erscheinen – doch wer wissen möchte, wie Reiki in seiner Essenz schmeckt, wird das anhand dieser Karte so schnell nicht herausfinden können, selbst wenn er sie alle durchprobiert und dabei einen gepflegten Kater riskiert…

“Shinpuru isu besto” – Simple is best!

Wer schon den einen oder anderen gepflegten Kater erlebt hat, der wird mir wohl zustimmen: So etwas braucht man so schnell nicht wieder – und wird in Zukunft wohl alles, wo Reiki draufsteht, meiden wie der Teufel das Weihwasser. Dabei hat man doch noch nicht mal eine Ahnung davon, wie Reiki in seiner Essenz eigentlich schmeckt, von seinen Inhaltsstoffen mal ganz abgesehen…

Beim Sushi wie beim Reiki sind die Japaner Puristen: “Shinpuru isu besto”- Simple is best, sagt mein Lehrer Tadao Yamaguchi, Mitbegründer und Leiter des Jikiden Reiki Instituts in Kyoto – und trifft damit genau den Punkt, der Reiki-Begründer Mikao Usui so wichtig war: Reiki sollte für jeden Menschen auf der Welt, unabhängig von Religion, Glauben und Ideologien annehmbar sein. Deshalb hat er sein System bewusst frei davon gehalten.

Es werde Licht!

Es im Nachhinein mit den verschiedensten, teils durchaus fragwürdigen esoterischen Konzepten zu überfrachten, ist wie das helle Licht einer Lampe mit vielen bunten Tüchern zu verdecken, um es möglichst noch attraktiver erscheinen zu lassen. Was dabei passiert, ist jedoch genau das Gegenteil: Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Nicht jeder mag Batik, Burberry- oder Paisley-Muster und gedämpftes Licht…

Das esoterische Zwielicht, in das Reiki dadurch geraten ist, hält nicht nur viele Menschen davon ab, es in Anspruch zu nehmen, sondern schadet auch seinem Ansehen in der Öffentlichkeit sehr. Wenn wir wollen, dass Reiki endlich als das anerkannt wird, was es eigentlich ist, nämlich als ernstzunehmende Methode zur Erhaltung und Wiederherstellung der geistigen, seelischen und körperlichen Gesundheit, dann führt wohl kein Weg vorbei an einer Rückkehr zur Essenz, zur ursprünglichen Reinheit, Klarheit und Einfachheit von Reiki…

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